„Alter ist der größte Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagt Professor Reinier Boon von der Goethe-Universität Frankfurt. „Wir untersuchen, was auf molekularer Ebene passiert, wenn das Herz altert und das Risiko für Herzinfarkte oder eine Herzschwäche steigt.“ Beim Vergleich von jungen und alten Mäuseherzen entdeckte Dr. Dorotée Julia Trembinski Sarrah, denn in alten Herzen kommt wesentlich weniger davon vor.
Sarrah ist eine sogenannte lange nicht-codierende RNA. Im Gegensetz zu messenger-RNAs tragen nicht-codierende RNA-Moleküle keine Informationen für den Bau eines Proteins. Sie haben aber andere wichtige Funktionen in der Zelle, die zum Teil schon länger bekannt sind. Für lange nicht-codierende RNAs werden diese aber erst nach und nach verstanden.
Die DZHK-Forscher zeigten, dass Sarrah Herzmuskelzellen davor schützt, durch den programmierten Zelltod abzusterben. Ist weniger von ihr vorhanden, sterben mehr Zellen auf diese Weise ab. Dieser Apoptose genannte Tod ist ein wesentliches Kennzeichen des alten Herzens. Auch beim Menschen, in Schweinen und Ratten konnten die Forscher RNA-Moleküle nachweisen, die Sarrah sehr ähnlich sind.
Wie wichtig Sarrah im menschlichen Herz ist, stellte Trembinski mit einem künstlichen Miniherz im Labor fest. Das Miniherz besteht aus menschlichen Herzmuskelzellen, die aus einer Stammzelle gezüchtet wurden. Fehlte diesen Zellen Sarrah, konnten sie sich nicht mehr so gut zusammenziehen.
Hilft nach Herzinfarkt
Bei Mäusen wirkt Sarrah wie ein Medikament: Nach einem Herzinfarkt erholten sich deren Herzen wesentlich besser, wenn die Wissenschaftler die Konzentration dieser RNA experimentell erhöhten. Dort beobachteten sie außerdem, dass das Molekül nicht nur Herzmuskelzellen vor dem Sterben schützt, sondern auch die Bildung neuer kleiner Blutgefäße im Herz anregt.
Für Boon ist Sarrah ein potenzieller Kandidat für eine Gentherapie beim Menschen: „Der nächste wichtige Schritt auf diesem Weg ist es, im Labor sichere molekulare Transportbehälter zu entwickeln, mit denen man ausreichend viel des RNA-Moleküls in den Körper schleusen könnte.“ Dafür benutzen Wissenschaftler Viren. In der Vergangenheit habe es Probleme mit solchen Viren gegeben, sodass die Patienten zu wenig des therapeutischen Gens bekommen hätten. Noch gibt es keine klinischen Studien mit langen nicht-codierenden RNAs. Boons Gruppe ist aber Mitglied des europäischen Konsortiums CardioReGenix, dessen Ziel es ist, auch diese RNAs in Gentherapieverfahren zuzulassen.
Freie Radikale in Schach halten
Boon und seine Mitarbeiter untersuchten auch, über welche molekularen Wege Sarrah ihre positiven Effekte bewerkstelligt. Dabei fanden sie heraus, dass Sarrah 134 Gene reguliert, wovon die meisten den Genkategorien Alter oder Herz-Kreislauf angehören.
Ein wichtiges Gen, das von Sarrah aktiviert wird, konnten die Forscher näher aufschlüsseln. Es kurbelt ein System an, das Körperzellen vor oxidativem Stress schützt. Dieser schädliche Stress entsteht durch freie Radikale sowie reaktive Sauerstoffverbindungen. Außerdem kann das System bereits geschädigtes Gewebe wieder reparieren. „Das erklärt zumindest teilweise, warum Zellen mit Sarrah besser überleben“, sagt Boon. Für ihn und sein Team gibt es jedoch noch viel zu erforschen, um genau zu verstehen, wie das RNA-Molekül Überleben und Durchblutung im Herzen fördert.
Originalarbeit: Aging-regulated anti-apoptotic long non-coding RNA Sarrah augments recovery from acute myocardial infarction. Trembinski DJ, Bink DI, Theodorou K, Sommer J, Fischer A, van Bergen A, Kuo CC, Costa IG, Schürmann C, Leisegang MS, Brandes RP, Alekseeva T, Brill B, Wietelmann A, Johnson CN, Spring-Connell A, Kaulich M, Werfel S, Engelhardt S, Hirt MN, Yorgan K, Eschenhagen T, Kirchhof L, Hofmann P, Jaé N, Wittig I, Hamdani N, Bischof C, Krishnan J, Houtkooper RH, Dimmeler S, Boon RA. Nat Commun. 2020 Apr 27;11(1):2039.
DOI: 10.1038/s41467-020-15995-2
Kontakt: Professor Reinier Boon, Institut für Kardiovaskuläre Regeneration, Goethe Universität Frankfurt, boon(at)med.uni-frankfurt.de
Christine Vollgraf, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), Tel.: 030 3465 529 02, presse(at)dzhk.de