Ist eine Erkrankung des Herzmuskels angeboren oder erworben? Welche Abweichungen am Erbgut verursachen Herzschwäche oder Rhythmusstörungen? Wo bieten sich Ansatzpunkte für künftige Therapien? Diesen Fragen gehen Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg und des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) ab sofort im neuen "Klaus-Tschira-Institute for Integrative Computational Cardiology" sowie weiteren modern ausgestatteten Laboren im jetzt eröffneten Analysezentrum III nach. Bau und Infrastruktur des Bereichs Herzforschung hat die Klaus Tschira Stiftung mit insgesamt 6,6 Millionen Euro unterstützt.
Zusätzlich finanziert die Stiftung mit 1,4 Millionen Euro für zunächst vier Jahre eine Professur für "Integrative Computational Cardiology". Ziel des Klaus-Tschira-Institute for Integrative Computational Cardiology ist, die enormen Datenmengen, die bei Analysen des Erbgutes und der komplexen Stoffwechselwerte von Herzpatienten anfallen, mittels moderner Computertechnik aufzuarbeiten, auszuwerten und dem behandelnden Arzt in verständlicher Form zugänglich zu machen. "Hier gelingt eine Synthese von Informatik und Herzmedizin, die deutschlandweit einmalig ist und in Zukunft die Behandlung vieler Patienten verbessern kann", sagt Stifter Klaus Tschira. Institut und Labore sind Teil der Abteilung Kardiologie, Angiologie und Pneumologie der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg (Ärztlicher Direktor: DZHK-Standortsprecher Professor Dr. Hugo Katus).
Das Klaus-Tschira-Institute for Integrative Computational Cardiology ist in der dritten Etage angesiedelt, die übrigen Labore und Räumlichkeiten der Herzforschung befinden sich im Untergeschoss sowie auf der zweiten Etage des fünfstöckigen Gebäudes. 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter Kardiologen, Molekularbiologen, Bioinformatiker und Mathematiker der Heidelberger Kardiologie werden hier forschen und arbeiten.
Vollautomatisierte Biobank fasst mehr als eine Million Proben für klinische Studien
"Die Ansiedlung unserer verschiedenen Arbeitsgruppen in einem Gebäude fördert die enge und interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie den intensiven Austausch von Ideen", sagt Professor Katus. "Mit dem neuen Institut und einer Laborausstattung auf dem modernsten Stand der Technik können wir die Forschung zum Wohle der Patienten erheblich voranbringen. Dafür sind wir der Klaus Tschira Stiftung und ihrem Gründer sehr dankbar." Am neuen Standort werden außerdem Forschungsprojekte für das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), an dem die Heidelberger Kardiologen als Verbundpartner beteiligt sind, verwirklicht.
Zur neuen, von der Klaus Tschira Stiftung finanzierten Ausstattung gehört eine moderne, vollautomatische Biobank, in der eine Million Blut- und Gewebeproben bei Minus 80 Grad Celsius konserviert werden können. "Diese Bioproben sind die Voraussetzung für die moderne patientennahe Herzforschung - sie können auch als die Kronjuwelen der Forschung bezeichnet werden", erklärt Professor Katus. Die Biobank ist eine der modernsten in Deutschland: Jede Probe wird vollautomatisch aufbereitet, gereinigt, mit einem verschlüsselten Code versehen und mittels Roboter in der Biobank eingelagert. Die Anlage arbeitet sehr energieeffizient und benötigt nur 10 Prozent der Energiemenge, die ein Gefrierschrank mit vergleichbarer Speicherkapazität verbrauchen würde.
Speicherplatz von einem Petabyte ist Voraussetzung für Arbeit mit Genomdaten
Zum Forschungserfolg werden auch andere innovative Analysegeräte beitragen: So lassen sich beispielsweise mit dem sogenannten "Incell-Analyser" Herzzellen unter 384 verschiedenen Bedingungen gleichzeitig untersuchen und damit überprüfen, welche Proteine und Signalwege bei bestimmten genetischen Defekten beeinträchtigt sind und möglicherweise zur Entwicklung einer Herzerkrankung beitragen. Die Stiftung finanziert zudem eine moderne EDV-Ausstattung mit Vernetzung leistungsstarker Rechner, einem eigenem Server und 1.000 Terabyte Speicherplatz. Zur Orientierung: Analysieren die Wissenschaftler das Erbgut eines einzigen Patienten, fallen bereits Datenmengen im Bereich mehrerer hundert Gigabytes an. Umfangreicher Speicherplatz ist daher Voraussetzung für die Arbeit am Klaus-Tschira-Institute.
Gemeinsames Ziel der Forschergruppen ist, Fortschritte in der "personalisierten" Behandlung von Patienten mit Herzmuskelerkrankungen zu erzielen. Das bedeutet, dass die Patienten eine auf die jeweilige Veränderung am Erbgut und die individuelle Veranlagung abgestimmte Therapie erhalten. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg: Zunächst vergleichen die Wissenschaftler das Erbgut möglichst vieler Herzpatienten mit dem gesunder Personen und suchen nach charakteristischen Abweichungen. Verdächtige Abschnitte, die bei den Erkrankten besonders häufig verändert sind, werden an Herzmuskelzellen und anderen Modellsystemen weiter untersucht. Es gilt herauszufinden, welche Prozesse in den Herzzellen durch den genetischen Defekt gestört werden und wie es schließlich zu dauerhaften Schädigungen des Herzens kommt. Ganz am Ende steht dann die Entwicklung von Wirkstoffen, mit denen diese Störungen gezielt behandeln werden können. Derzeit wird in Heidelberg an allen diesen Schritten geforscht.
Rechnergestützte Analyse von Gendefekten verbessert Diagnose und Therapie
Doch auch ohne eine exakt passende Therapie kann das Wissen um die genetischen Ursachen von Herzmuskelerkrankungen Patienten und ihren Angehörigen nutzen. Je nach Fehler im Erbgut sind bestimmte Abläufe im Herzmuskel gestört. Abhängig von der Ursache nimmt die Erkrankung einen anderen Verlauf, kann eine intensivere Therapie, eine spezifische Medikamentenwahl bzw. die frühe Versorgung mit einem Schrittmacher angezeigt sein. Familienmitglieder können im Rahmen einer kardio-genetischen Beratung gezielt untersuchen lassen, ob der erbliche Gendefekt des Erkrankten auch bei ihnen auftritt. Mit einem in Heidelberg entwickelten Analyseverfahren, dem sogenannten "Targeted Next-Generation Sequencing", können mit hoher Effizienz alle möglicherweise krankmachenden Gene und weitere verdächtige Bereiche im Erbgut gleichzeitig untersucht werden. Mit Hilfe spezieller Computertechnik werden die für die Diagnose und Patientenberatung erforderlichen Informationen herausgefiltert und aufbereitet. Bisher steht der Test Betroffenen nur im Rahmen von Forschungsprojekten zur Verfügung. Im Klaus-Tschira-Institute soll das Verfahren nun für den routinemäßigen Einsatz in der Diagnose erblicher Herzerkrankungen vorbereitet werden.
Klaus Tschira Stiftung
Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Klaus Tschira Stiftung gemeinnützige GmbH wurde 1995 von dem Physiker Klaus Tschira gegründet. Sie gehört zu den größten gemeinnützigen Stiftungen Europas, die mit privaten Mitteln ausgestattet wurden. Sitz der Stiftung ist die Villa Bosch in Heidelberg. Die Stiftung verwirklicht eigene Projekte, vergibt aber nach Antrag und positiver Begutachtung auch Fördermittel. Sie hat zur nachhaltigen Beförderung ausgewählter Themen Organisationen als Töchter oder Beteiligungen gegründet. Dazu gehören unter anderen in Heidelberg das Forschungsinstitut HITS und die Forscherstation - das Klaus-Tschira-Kompetenzzentrum für frühe naturwissenschaftliche Bildung - sowie in Karlsruhe das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation NaWik. Seit ihrer Gründung hat die Klaus Tschira Stiftung mehr als 250 Millionen Euro Fördermittel und Sachspenden vergeben.
Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg