Die häufigste Herzrhythmusstörung in Deutschland ist das sogenannte Vorhofflimmern. Bis zu eine Millionen Menschen hierzulande leiden daran, dass die Vorhöfe des Herzens sich sehr unregelmäßig zusammenziehen. Durch selbstorganisierte elektrische Impulse geraten die Vorhöfe aus dem Takt. Vorhofflimmern ist sehr gefährlich, jeder vierte Schlaganfall ist eine Folge davon. Eine Methode, Vorhofflimmern zu beenden, ist die Ablation, also das Veröden von Herzzellen in vorher vom Mediziner bestimmten Bereichen des Vorhofs. Die Göttinger Forscher berichten nun erstmalig über einen bisher unbekannten Mechanismus, der zu Herzflimmern führt. Sie zeigen, dass Bereiche besonders guten Herzgewebes zu Flimmern führen können und schlagen vor, dass die Ablation genau dieses Gewebes das Vorhofflimmern stoppen kann.
„Mit unserer theoretischen Arbeit sind wir der Frage nachgegangen, warum Inhomogenitäten des Herzmuskels Herzrhythmusstörungen verursachen. Insbesondere interessierten wir uns für Bereiche besonders gesunden Muskels, die als völlig harmlos galten. Zu unserer Überraschung fanden wir, dass kleine sehr gesunde Bereiche besonders effektiv selbst-anregende elektrische Rotoren sind und damit Herzflimmern verursachen“, sagt Professor Dr. Eberhard Bodenschatz, Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und Wissenschaftler am DZHK. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass es vielleicht Sinn macht, diese besonders gesunden Herzbereiche zu veröden um damit das Herz wieder in den Takt zu bringen“, ergänzt Dr. Vladimir Zykov, Erstautor der Veröffentlichung.
Bereits 1946 hatten Norbert Wiener und Arturo Rosenblueth gezeigt, dass selbstorganisierte elektrische Rotoren (und damit Flimmern) an Bereichen verringerter Aktivität der Herzmuskulatur entstehen können. Bis heute hielt man dieses Modell für fundamental. Ein kürzlich eingeführtes klinisches Verfahren demonstriert jedoch, dass menschliches Vorhofflimmern nach dem Veröden bzw. der Ablation von Muskelbereichen um den Ort der elektrischen Rotoren beendet werden kann. „Dies ist verwunderlich, da ja gerade dort nach Wiener und Rosenblueth besonders ‚schlechtes‘ Gewebe sein sollte, und damit die Ablation Herzflimmern erzeugen und nicht verhindern müsste“, sagt Co-Autor Dr. Alexei Krehov vom MPIDS. „Es war ein Rätsel, warum ein solches Veröden von Gewebe in der Nähe eines Rotors das Vorhofflimmern beendete und nicht das Flimmern verfestigt und damit das erneute Auftreten der Herzrhythmusstörungen fördert.“
Die Forscher Eberhard Bodenschatz verwendeten ein mathematisches Modell, das sehr allgemein ist und vielfältig angewandt wird, zum einen für die Simulation von elektrophysischen Wellen im Herzen- oder in Nervengewebe, aber auch für Anregungswellen in Kolonien des Schleimpilzes Dictyostelium discoideum, oder der autokatalytischen chemischen Belousouv-Zhabotinsky-Reaktion. In ihrem Modell haben sie eine Lösung dieses Rätsels gefunden. Ihre Simulationen zeigen, dass ein lokalisiertes Gebiet, welches im Stande ist, eine schnellere Ausbreitung der elektrischen Signale zuzulassen, als starkes Hindernis wirken kann. Dort entstehen sofort elektrische Rotoren, die zum Herzflimmern führen können. Diese unerwartete Beobachtung erklärt, warum das Entfernen eines solchen Pseudohindernisses in der Nähe des Rotors die Wahrscheinlichkeit des Vorhofflimmerns verringert.
Die theoretischen Hintergründe, die in der aktuellen Ausgabe von PNAS dargestellt werden, geben dem neuen Ablationsverfahren eine Erklärung. Weiterhin zeigen sie einen neuen Mechanismus, der zum Kammerflimmern und plötzlichem Herztod führen kann. Der gefundene generische Mechanismus der Rotorzeugung eröffnet wichtige neue Einsichten zu Verhinderung krankhafter elektrischer Anregungen des Herzmuskels. CH
Originalarbeit:
Fast propagation regions cause self-sustained reentry in excitable media, www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1611475114
Quelle: Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation