Dass microRNAs überhaupt existieren, ist erst seit relativ kurzer Zeit bekannt. In den vergangenen Jahren wurde aber immer deutlicher, dass diese Moleküle eine wichtige Rolle für die Funktion unserer Zellen spielen. Beispielsweise können sie beeinflussen, ob bestimmte Proteine gebildet werden. Für die Entwicklung neuer Therapien sind sie auch deshalb besonders interessant, weil sie relativ einfach künstlich nachzubauen sind. Zudem lässt sich zu jeder micro-RNA ein Gegenstück, eine Anti-microRNA, herstellen, die sie bindet und damit unwirksam macht. Welche micro-RNAs besonders viel im Körper bewirken und auf welche Weise sie das tun, wird derzeit weltweit an zahlreichen Universitäten und Forschungsinstituten erforscht.
Schutz vor krankhaften Veränderungen
Auch das Team um Stefan Engelhardt, Professor für Pharmakologie und Toxikologie an der TUM und Principal Investigator am Deutschen Zentrum für Herz- Kreislauf-Forschung (DZHK) beschäftigt sich mit diesem Thema. In einer früheren Studie hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler miR-29 als ein Molekül identifiziert, das mit krankhaften Veränderungen des Herzmuskels in Verbindung stehen könnte. Anhand eines Mausmodells konnten sie jetzt zeigen, dass Tiere, die von Geburt an besonders wenig miR-29 in ihren Zellen hatten, deutlich weniger anfällig für Herzfibrosen und Hypertrophien, also ein krankhaftes Wachstum des Herzmuskels, waren.
Eine vergleichbare Wirkung zeigte sich, wenn miR-29 mit Medikamenten unterdrückt wurde. „In weiteren Versuchen konnten wir außerdem zeigen, dass für diesen Effekt insbesondere miR-29 in Herzmuskelzellen, den Myozyten, verantwortlich war“, erläutert Yassine Sassi, gemeinsam mit Petros Avramopoulos Erstautorin der Studie. Die Autorinnen und Autoren nehmen an, dass miR-29 am Beginn einer bestimmten Kette von molekularen Signalen in Organen steht, dem Wnt-Signalweg. In gesunden Zellen ist diese Signalkette gewissermaßen stumm geschaltet. Wird der Wnt-Signalweg durch Stress aktiviert, bewirkt er unter anderem, dass besonders viele Bindegewebszellen gebildet werden.
Unterschiede zu früheren Studien
„Ein weiteres interessantes Ergebnis unserer Studie war, dass wir keine negativen Auswirkungen auf den Körper feststellen konnten, wenn miR-29 fehlte“, sagt Petros Avramopoulos. Untersuchungen anderer Teams hatten Hinweise darauf gegeben, dass nicht ein hoher, sondern ein niedriger miR-29-Spiegel zu Fibrosen in Organen wie Leber, Lunge und Nieren führen kann. „Ein möglicher Grund für diese Abweichung ist, dass wir in unseren Experimenten die Unterschiede zwischen den Auswirkungen eines ‚normalen‘ und eines besonders niedrigen miR-29-Spiegels in einem intakten Organismus untersucht haben “, erläutert Stefan Engelhardt. „Andere Teams haben sich dagegen vor allem auf bioinformatische Analysen und Zellkulturen verlassen oder die Auswirkungen eines künstlich erhöhten Spiegels von miR-29 untersucht.“
Aufbauend auf den Forschungsergebnissen seines Teams will er jetzt weitere Effekte von miR-29 untersuchen. „Herzfibrosen sind gefährlich und bislang nur sehr schlecht zu behandeln“, sagt Engelhardt. „Wir untersuchen derzeit, ob anti-miR-29, das künstliche Gegenstück zu miR-29, helfen kann, diesen tückischen Prozess nicht nur zu verhindern, sondern auch umzukehren, wenn bereits eine Herzfibrose vorliegt.“ Eine weitere Herausforderung ist es, Methoden zu entwickeln, um zukünftige miR-29-basierte Medikamente gezielt in die Herzmuskelzellen zu bringen.
Publikation:
Y. Sassi, P. Avramopoulos, D. Ramanujam, L. Grüter, S. Werfel, S. Giosele, A.-D. Brunner, D. Esfandyari, A. S. Papadopoulou, B. De Strooper, N. Hübner, R. Kumarswamy, T. Thum, X. Yin, M. Mayr, B. Laggerbauer & S. Engelhardt. "Cardiac myocyte miR-29 promotes pathological remodeling of the heart by activating Wnt signaling". Nature Communications 8, 1614 (2017). DOI: 10.1038/s41467-017-01737-4
Kontakt:
Prof. Dr. Stefan Engelhardt
Institut für Pharmakologie und Toxikologie
Technische Universität München
Tel: +49 4140-3260
Mehr Informationen:
Prof. Dr. Stefan Engelhardt
Institut für Pharmakologie und Toxikologie
Quelle: Pressemitteilung TUM