„Grundsätzlich ist es sehr erfreulich, dass die Patienten ihren Gesundheitszustand so positiv bewerten“, sagt Paul Helm, Psychologe und einer der Autoren der Studie. „Trotzdem hat uns das Ergebnis auch beunruhigt. Schließlich geht es um schwere chronische Erkrankungen, die mit erheblichen Beeinträchtigungen verbunden sind und eine kontinuierliche medizinische Vorsorge und Betreuung erfordern.“ Wird die eigene Gesundheit falsch eingeschätzt und daher die notwendige Gesundheitsvorsorge vernachlässigt, kann das zu lebensbedrohlichen Folgeerkrankungen führen.
An der Studie des Nationalen Registers für angeborene Herzfehler nahmen 587 Patienten mit leichten und komplexen Herzfehlern im Alter zwischen zehn und 30 Jahren sowie 231 Eltern von Patienten teil. Die Eltern bewerteten den gesundheitlichen Status ihrer Kinder sogar noch besser als diese selbst. Auch alltägliche Einschränkungen wurden von ihnen als schwächer angesehen als von ihren betroffenen Kindern. Für die Wissenschaftler ein Anzeichen dafür, wie nötig gezielte Beratung und Unterstützung für die Patienten und ihre Angehörigen ist.
Bessere Einschätzung durch psychosoziale Unterstützung
Doch noch werden Unterstützungsangebote durch Sozialarbeiter oder Psychologen wenig wahrgenommen. Nur 6,5 Prozent der Patienten gaben an, solche Angebote genutzt zu haben. Helm hält das für bedenklich. Denn die wenigen Patienten, die psychosoziale Unterstützung erhalten hatten, beurteilten ihre Gesundheit und die damit verbundenen alltäglichen Schwierigkeiten durchaus realistischer als der Durchschnitt. Und so eine wirklichkeitsnahe Selbsteinschätzung ist laut dem Experten wichtig und wünschenswert für den richtigen Umgang mit der Erkrankung.
Eine mögliche Erklärung für die positive Bewertung durch die Patienten sei, dass man den Unterscheid zwischen gesund und krank selbst nie erlebt hat, wenn man eine angeborene Erkrankung hat, vermutet der Psychologe. Außerdem belegen die Zahlen der Studie, dass unter den befragten Teilnehmern insbesondere Jugendliche ihre Gesundheit falsch einschätzen. „In der Übergangsphase vom Kind zum Erwachsenen leiden viele der Patienten darunter, nicht mit den Altersgenossen mithalten zu können und haben Angst, deshalb ausgegrenzt zu werden“, erklärt Helm. „Dass man krank ist, wird deshalb oft heruntergespielt.“ Psychosoziale Unterstützung kann hier einen wertvollen Beitrag leisten, um sich selbst richtig einzuschätzen und einen positiven Umgang mit der Krankheit zu lernen.
Hilfe ist weder uncool noch verrückt
Die Wissenschaftler nehmen außerdem an, dass viele Patienten und auch ihre Eltern aus Angst vor einer Stigmatisierung keinen Psychologen oder Sozialarbeiter aufsuchen. „Ein zentrales Ziel ist es deshalb, in den Köpfen fest zu verankern, dass es alles andere als schwach, verrückt oder uncool ist, sich professionelle Hilfe zu holen“, wünscht sich Dr. Ulrike Bauer, Ärztin und Geschäftsführerin des Nationalen Registers für angeborene Herzfehler. Denn von sich aus geeignete Hilfe anzufordern, ist laut der Ärztin der Schlüssel zu einer guten Lebensqualität. Adressen von seriösen Unterstützungsangeboten gibt es beim behandelnden Arzt und beim Bundesverband Herzkranke Kinder e. V.
Originalarbeit: Helm PC, Kempert S, Koerten M-A, Lesch W, Specht K, Bauer UMM. Congenital heart disease patients’ and parents’ perception of disease-specific knowledge: Health and impairments in everyday life. Congenital Heart Disease. 2018;00:1–7. DOI: 10.1111/chd.12581
Kontakt: Christine Vollgraf, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), Tel.: 030 3465 529 02, presse(at)dzhk.de
Paul Helm, Nationales Register für angeborene Herzfehler, helm(at)kompetenznetz-ahf.de
Dr. Ulrike Bauer, Kompetenznetz Angeborene Herzfehler, ubauer(at)kompetenznetz-ahf.de